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Bestien

 

 

Bestien

 

 

Kurzgeschichte

 

 

 

Ein Abendfest bei Hella. Gute Bekannte sind geladen. Die beste Freundin Irmgard ist auch dabei.

Irmgard kann man wirklich bei jeder Gesellschaft gut gebrauchen. Man setze sie einfach in irgendeinen beliebigen Kreis. Was wird sie tun? Sie wird reden. Sie redet zu jedem aufkommenden Thema.

Manche würden sagen, dass sie plappert. Plappert über Haarprobleme, den fettbedingten mittleren Ring an dem älter werdenden Körper. Aber das hat ja jeder.

Ja jeder. Aber nicht jeder redet überall mehr mit. Irmgard schon. Sie plappert.

Der Wein, der heute Abend bei diesem Fest gereicht wird, hat einen sympathischen Charakter, „fummelt“ so ein bisschen die Seele an, sagt Karin. Irmgard hört das gar nicht, weil sie über ihre Salatbeete redet. In ihrem Garten. Um den Betonklotz, den man Eigenheim nennt. Oben am Hang über der Stadt. Mit Hund. Und Kindern, die gelegentlich aus großer Entfernung anreisen und so herrlich erfolgreich sind. Ja, und der Mann. Der ist unterwegs.

 

Vor dem nächsten Schluck aus dem Glas schafft Irmgard noch einen Hinweis auf Mäuse. Das hört jemand und wiederholt.

Wie, Mäuse? Sie hatten Mäuse in dem schönen Haus?

 

Karin hat nicht ganz hingehört, weil drüben, aufder anderen Seite des Tisches, gerade über die Aussichtslosigkeit der politischen Kräfte geredet wurde, was ihre Aufmerksamkeit band.

Karin hatte auch schon Mäuse in ihrer Wohnung. Eigentumswohnung.

 

Gibt es Mäuse, die Irmgard heißen?

 

Das Gespräch führt sehr schnell weiter zu anderen Lebewesen. Eichhörnchen, die in den Dachgartenkübeln im Vorwinter ihre Nüsse verstecken und Ratten. Bei der Erwähnung von Ratten gruselt es Irmgard:

 

Igitt, das sind doch wahre Bestien!

 

Sie hört weg als Karin sagt, dass Ratten überlebensfähiger seien als Menschen. Diesen Ansatz will erst niemand verfolgen. Hella hinterfragt die Anmerkung von Karin.

 

Was meinst du mit überlebensfähiger?

 

Nun, sie sind anpassungsfähiger als der Mensch. Wenn man ihnen ein bestimmtes Gift verabreicht, sterben zunächst ein paar Tiere. Dann entwickeln sie Gegenstrategien und sind gegen dieses Gift immun.

 

Menschen sind das nicht, streut Irmgard ein.

 

Karin berichtet weiter:

 

Ratten sind erstaunliche Überlebenskünstler und können sich gut anpassen. Zum Beispiel können sie sich in Notzeiten von den abenteuerlichsten Dingen wie beispielsweise Seife, Leder, Papier, Textilien und Holz ernähren. Sie verschmähen dann natürlich auch tierische Kost wie z.B. Würmer, Insekten und kleine Vögel nicht.

 

Wenn das einmal mein Alter könnte! wirft Irmgard dazwischen. Würmer essen. Wie ich es ihm gönnen würde!

 

Wieso, fragt Hella, ich denke dein Mann ist ein Überlebenskünstler. Hast du nicht bei unserem letzten Treffen erzählt, dass er die Krise in seiner Firma gut überstanden hat?

 

Stimmt. Habe ich erzählt, aber dafür musste der andere Prokurist gehen. Mein Albert hat ihn ausmanövriert, den Herbert, seinen Kollegen. Er hat ihn quasi das Gift fressen lassen.

 

Ist das nicht clever? Er hat überlebt.

 

Und was haben wir davon? Er hätte auch eine andere Lösung akzeptieren können. Eine, die kein Opfer verlangt hätte. Sie hätten sich mit weniger Einkommen abfinden können. Alle.

 

Da kenne ich mich nicht aus.

 

Wollt ihr noch mehr über diese Tiere hören? fragt Karin. Da eine kleine Pause eingetreten ist, informiert sie weiter:

 

Es sind sehr fruchtbare Tiere. Schon nach sechs Wochen nach der Geburttritt bei ihnen die Geschlechtsreife ein.

 

Die fehlt meinem Alten manchmal, kommentiert Irmgard.

 

Das verstehe ich jetzt nicht, meint Karin und ergänzt: im Jahr gibt es sechs bis acht Würfe. Was ich ganz interessant finde, die Paarungsbereitschaft geht von den weiblichen Tieren aus.

 

Dagegen ist ja nichts zu sagen, meint Hella, hebt ihr Glas und prostet allen mit den Worten zu: danke für den kleinen Vortrag unserer Biologin, aber ich denke, dass wir nun dieses Terrain verlassen.

 

Sechs bis acht, spricht Irmgard vor sich hin und nippt an ihrem Glas. Da kommen wir nicht hin.

 

Hella schaut in die Runde und holt noch zwei Flaschen Wein.

 

Irmgard kramt in ihrer Handtasche und sucht nach ihrem Handy: Ich werde Herbert doch anrufen.

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